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Urteil im Verfahren gegen den Vater des Amokläufers von Winnenden und Wendlingen
Datum: 01.02.2013
Kurzbeschreibung:
PRESSEMITTEILUNG
Urteil im Verfahren gegen den Vater des Amokläufers von Winnenden und Wendlingen
Die 7. Große Strafkammer des Landgerichts Stuttgart hat am heutigen Vormittag das Urteil im Verfahren gegen den Vater des Amokläufers von Winnenden und Wendlingen, Tim K., verkündet und den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in 15 tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in 14 tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit fahrlässigem Überlassen einer erlaubnispflichtigen Schusswaffe und erlaubnispflichtiger Munition an einen Nichtberechtigten, jeweils begangen durch Unterlassen, zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Damit bleibt der Schuldspruch gegenüber dem vorangegangenen aufgehobenen Urteil der 18. Großen Strafkammer vom 10. Februar 2011 unverändert.
Nach den bereits in der ersten Verhandlung gegen den Angeklagten rechtskräftig getroffenen Feststellungen hatte der Sohn des Angeklagten, der damals 17-jährige Tim K., am 11. März 2009 insgesamt 15 Personen erschossen und 14 Personen durch Schüsse verletzt. Die meisten Opfer waren Schülerinnen, Schüler und Lehrerinnen seiner ehemaligen Schule, der Albertville-Realschule in Winnenden; Tim K. hatte auf sie in Klassenzimmern und darüber hinaus im ganzen Schulgebäude geschossen. Anschließend flüchtete er zunächst auf das Gelände der psychiatrischen Klinik in Winnenden, wo er einen zufällig anwesenden Monteur erschoss. Danach zwang er einen ihm bis dahin unbekannten Kraftfahrer, ihn nach Wendlingen zu fahren, wo er sich schließlich auf dem Gelände eines Autohauses eine Schießerei mit der Polizei lieferte, durch die ein Angestellter und ein Kunde des Autohauses zu Tode kamen und mehrere Polizeibeamte verletzt wurden. Am Ende erschoss sich Tim K. selbst.
Aufgrund der neuerlichen Verhandlung kam die nunmehr zuständige 7. Große Strafkammer des Landgerichts - wie zuvor auch die 18. Große Strafkammer - zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte die in seinem Besitz befindliche Sportpistole Beretta und die dazugehörige Munition entgegen den waffenrechtlichen Vorschriften nicht ausreichend sicher aufbewahrte und dadurch seinem Sohn den Zugriff darauf ermöglichte. „Es ist die Überzeugung der Kammer, dass es nicht zum Amoklauf gekommen wäre, wenn Sie die Waffe und die Munition ordnungsgemäß verschlossen hätten“, führte der Vorsitzende Richter an den Angeklagten gerichtet aus. Nach den Feststellungen der Kammer hatte Tim K. im Zeitraum zwischen Herbst 2008 und dem 11. März 2009 vom Angeklagten unbemerkt sowohl die Waffe und als auch insgesamt 285 Schuss Munition an sich gebracht, die der Angeklagte häufig unverschlossen an unterschiedlichen Orten in seiner Wohnung verwahrte, so auch in seinem Schlafzimmerschrank. Nach den Feststellungen der Kammer habe es der Angeklagte dabei voraussehen können, dass sein Sohn aufgrund der unzureichenden Sicherung von Waffen und Munition diese an sich nehmen und auf Menschen schießen wird. Dem Angeklagten waren die waffenrechtlichen Vorschriften zur sicheren Verwahrung bekannt, die gerade verhindern sollen, dass Nichtberechtigte in den Besitz von Waffen und der Möglichkeit ihres Gebrauchs kommen. Darüber hinaus war dem Angeklagten ebenfalls bekannt, dass sein Sohn unter einer behandlungsbedürftigen psychischen Störung litt und von Waffen begeistert war.
Die Kammer blieb mit ihrem Urteil etwas unter der von der Staatsanwaltschaft beantragten Strafhöhe von 1 Jahr und 9 Monaten. Dies begründete die Kammer vor allem mit dem Umstand, dass in der nunmehrigen Verhandlung nicht erwiesen werden konnte, dass der Angeklagte tatsächlich Kenntnis von den Tötungsfantasien hatte, die sein Sohn im Rahmen seiner Behandlung im Klinikum Weinsberg geäußert hatte. Die Verteidigung des Angeklagten hatte eine Verurteilung des Angeklagten lediglich wegen des Verstoßes gegen Vorschriften des Waffengesetzes angestrebt und ein Absehen von Strafe nach § 60 StGB beantragt. Der Vorsitzende Richter bedauerte, dass der Angeklagte keine Angaben im Verfahren gemacht hatte. „Sie hätten nicht befürchten müssen, dass die Kammer Ihnen nicht den Respekt entgegenbringt, der Ihnen als Person zusteht.“, teilte er dem Angeklagten zu Beginn der Urteilsbegründung mit.
Der Angeklagte war bereits mit Urteil des Landgerichts vom 10. Februar 2011 derselben Taten schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten zur Bewährung verurteilt worden. Auf eine mit der Revision geltend gemachte Verfahrensrüge des Angeklagten hatte der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 22. März 2012 (1 StR 359/11) das Urteil der 18. Großen Strafkammer mit einem Großteil der Feststellungen aufgehoben und zur neuen Verhandlung an eine andere Strafkammer des Landgerichts verwiesen. Den Verfahrensmangel sah der BGH darin, dass die Kammer einer für die Beweiswürdigung wesentlichen Zeugin zu Unrecht ein Auskunftsverweigerungsrecht zugebilligt habe und dadurch die Verteidigung zu keiner Zeit Gelegenheit gehabt habe, die Zeugin zu befragen.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Dr. Florian Bollacher und Thomas Wessels, Mediensprecher in Strafsachen