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Jahrespressegespräch 2020: Folgen der Corona-Pandemie für das Landgericht Stuttgart
Datum: 31.07.2020
Kurzbeschreibung: Corona-Pandemie führt zu neuartigen Zivilverfahren - Klagewelle erwartet / Präsident Dr. Singer: "Der Rechtsstaat hat sich bewährt. Auch in schwierigen Zeiten ist auf die Gerichte Verlass."
Heute folgten zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter der regionalen und überregionalen Medien der Einladung zum jährlichen Pressegespräch am Landgericht Stuttgart. Zu den zentralen Themen gehörten der Umgang der Justiz mit dem Coronavirus und die neuartigen Zivilverfahren infolge der Pandemie am größten Gericht des Landes.
Der
Rechtsstaat hat sich bewährt
„Der Rechtsstaat hat sich bewährt“, betonte der
Präsident des Landgerichts Stuttgart Dr. Andreas
Singer in seinem Resümee zur Phase des bundesweiten Lockdowns. Binnen weniger Tage habe man ein tragfähiges Konzept für einen
Übergangsbetrieb entwickelt. „Wichtige Eilsachen
wurden zu jeder Zeit entschieden. Wir haben den notwendigen Dienstbetrieb immer aufrechterhalten. Kein einziger Haftbefehl wurde
aufgehoben.“ Dank des großartigen Einsatzes der
Richterinnen und Richter und des gesamten Unterstützungspersonals habe das Landgericht die schwierige Phase des Lockdowns
insgesamt gut bewältigt: „Auch in schwierigen
Zeiten ist auf die Gerichte Verlass.“ Als Beleg verwies Singer unter anderem auf den Prozessauftakt im sogenannten
Schwertmörder-Verfahren, der am 17. April 2020 unter
strengsten Sicherheitsvorkehrungen stattfand. Um Großverfahren mit einer Vielzahl von Verfahrensbeteiligten unter
Einhaltung der Abstandsgebote verhandeln zu können,
würden auch die Hochsicherheitssäle des Oberlandesgerichts in Stammheim genutzt.
Corona-Pandemie führt zu neuartigen
Zivilverfahren
Inzwischen sieht der Präsident das Landgericht gut aufgestellt: „Wir haben gelernt, mit dem Virus umzugehen“. Die
Sitzungssäle seien mit Trennscheiben ausgestattet, der laufende Geschäftsbetrieb den Hygieneerfordernissen angepasst. Es gebe
infolge der kurzfristigen Terminsverlegungen zu Pandemiebeginn aber noch einen erheblichen Verfahrensstau und Verzögerungen.
Zusätzliche Sorgen bereiten Singer die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie, die das Großstadtgericht am
Wirtschaftsstandort Stuttgart besonders nachhaltig treffen könnten: „Die Corona-Pandemie hat am Landgericht Stuttgart zu
neuartigen Zivilverfahren geführt.“ Laut Singer seien am Landgericht Stuttgart bereits erste Klagen gegen
Versicherungsunternehmen wegen coronabedingter Betriebsschließungen anhängig. Bei den Klägern handle es sich
überwiegend um Gastronomie- und Hotelbetriebe. Mit weiteren Klagen sei zu rechnen: „Dies dürfte erst der Anfang einer
Klagewelle sein“ ist sich der Präsident sicher und verweist auf die Angaben des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes
(Dehoga), wonach bundesweit rund 70.000 Betriebe durch die Pandemie akut in ihrer Existenz gefährdet seien. Die Klagen seien komplex.
Entscheidungen von Obergerichten, an denen man sich orientieren könne, gebe es nicht. Für die rechtliche Prüfung der
Ansprüche der Versicherungsnehmer werde es vor allem auf die Auslegung der jeweils maßgeblichen Bedingungen der
Betriebsunterbrechungsversicherung ankommen, welche bei den einzelnen Versicherern unterschiedlich ausgestaltet seien. „Das sind auch
für unsere spezialisierten Versicherungskammern ganz neuartige rechtliche Fragestellungen“, erläutert Singer. Auch sei
bereits eine Amtshaftungsklage gegen das Land Baden-Württemberg anhängig: Die Betreiberin eines Yoga-Studios begehrt
Entschädigung, weil sie aufgrund der Corona-Verordnung ihr Studio schließen musste. Weitere Amtshaftungsklagen gegen das Land
Baden-Württemberg sowie Städte und Gemeinden wegen coronabedingter Betriebsschließungen seien laut Singer angekündigt.
Hinzu kämen Zivilklagen in Zusammenhang mit Zahlungsschwierigkeiten, Stornierungen und Unternehmensinsolvenzen als unmittelbare Folge
der Pandemie. Nach übereinstimmenden Angaben von creditreform und ifo-Institut könnte sich im Herbst eine Insolvenzwelle
anbahnen. „Das wirtschaftliche Ausmaß der Pandemie wird man erst im Herbst sehen, da die Pflicht, einen Insolvenzantrag zu
stellen bis Ende September ausgesetzt ist“, betont Singer. Zudem erwarte er eine steigende Anzahl von Strafverfahren wegen
unrechtmäßig beantragter Corona-Soforthilfen. Wegen der teils hohen Fördersummen seien auch Anklagen wegen
Subventionsbetrugs zu den Wirtschaftsstrafkammern des Landgerichts möglich.
RLG Dr. Christoph Buchert und RLG Dr. Johannes Steinbach, Pressesprecher in Strafsachen,
Telefon: 0711/212-3800.