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Landgericht Stuttgart untersagt bestimmte Ausgestaltungen der Nachrichten-App „NEWSZONE" des SWR im Wege der einstweiligen Verfügung

Datum: 21.10.2022

Kurzbeschreibung: Landgericht Stuttgart untersagt bestimmte Ausgestaltungen der Nachrichten-App „NEWSZONE" des SWR im Wege der einstweiligen Verfügung

Die 53. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart hat mit am 21. Oktober 2022 verkündetem Urteil dem Antrag auf einstweilige Verfügung von 16 Verlagen gegen die Nachrichten-App „NEWSZONE“ der Südwestrundfunkanstalt des öffentlichen Rechts (SWR) stattgegeben (53 O 177/22).

Gegenstand des Verfahrens

Die Südwestrundfunkanstalt des öffentlichen Rechts („SWR“) bietet seit März 2022 die Nachrichten-App „NEWSZONE“ an, die sich nach eigenen Angaben an die „Generation Z“ richtet und „auf einfachen Zugang zu News und starke Individualisierbarkeit“ setzt. Die App ist dabei an die Website des SWR-Senders DASDING.de angeknüpft.

Der SWR wurde Ende März von 16 Presseverlagshäusern aus dem Südwesten Deutschlands abgemahnt und aufgefordert, die Verbreitung der App zu unterlassen, da die Verlage der Auffassung waren, die App verstoße gegen den Medienstaatsvertrag. Da der SWR dem nicht nachkam, beantragten die Verlage eine einstweilige Verfügung zunächst beim Landgericht Freiburg, das das Verfahren jedoch wegen örtlicher Unzuständigkeit an das Landgericht Stuttgart verwies.

Die Verfügungskläger begehren mit der Verfügungsklage, es dem SWR zu untersagen, die App NEWSZONE in ihrer ursprünglichen Form – Stand 14. April 2022 – zu verbreiten bzw. öffentlich zugänglich zu machen. Die Verfügungsbeklagte begehe Rechtsbruch, indem sie mit der App ein nach dem Medienstaatsvertrag („MStV“) unzulässiges Telemedienangebot anbiete. Den Verfügungsklägern stehe daher ein Unterlassungsanspruch nach §§ 3a, 8 UWG i.V.m. §§ 30, 32 MStV zu.

Die App sei ein selbständiges Telemedienangebot des SWR und damit genehmigungspflichtig im Sinne des § 32 MStV. Eine Genehmigung liege jedoch nicht vor. Darüber hinaus sei sie jedenfalls in der angegriffenen Fassung vom 14. April 2022 aufgrund der in größerem Umfang enthaltenen Textberichterstattung, die nicht zugleich im Hörfunk- und Fernsehangebot des SWR enthalten war, presseähnlich und damit gemäß § 30 Abs. 7 MStV unzulässig.

Öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist es nach § 30 Abs. 7 MStV untersagt, presseähnliche Erzeugnisse anzubieten und so in den Markt privater Verlage einzugreifen.

Ferner begehren die Verfügungskläger, es dem SWR zu untersagen, die App mit den Aussagen „keine Werbung“ und/oder „kein Abo“ und/oder „keine Abo-Fallen und keine versteckten Kosten“ zu bewerben. Diese Aussagen seien irreführend und damit wettbewerbswidrig. Denn sie seien zwar inhaltlich richtig, allerdings handele es sich dabei um Selbstverständlichkeiten, die zum Wesen durch den Rundfunkbeitrag finanzierter Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gehörten. Damit werde indirekt der falsche Eindruck erweckt, das beworbene Angebot sei anderen Produkten oder Leistungen überlegen. Dieser Unterlassungsanspruch wird auf §§ 5, 8 UWG gestützt.

Die Verfügungsbeklagte hält die Verfügungsklage bereits für unzulässig, da § 30 Abs. 7 MStV zunächst ein Schlichtungsverfahren vorsehe, das vor Antragstellung nicht durchgeführt worden sei. Sie beruft sich zudem darauf, die App sei nicht gesondert nach § 32 MStV genehmigungspflichtig, da sie eine bloße unselbständige Ausspielungsform des genehmigten Telemedienkonzepts des SWR sei. Sie gebe lediglich die Inhalte von DASDING.de wieder. Überdies sei sie auch nicht presseähnlich. Jeder Beitrag könne bequem per Kopfhörer-Symbol als abrufbarer Audio-Beitrag hörbar gemacht werden.

Zwischenzeitlich hat die Beklagte mehrere strafbewehrte Unterlassungserklärungen in Bezug auf bestimmte Beiträge in der App abgegeben. Die App wird weiterhin angeboten.

Wesentliche Erwägungen der Kammer

Die Kammer hält die Verfügungsklage für zulässig. Insbesondere setze die Klage kein vorab durchgeführtes Schlichtungsverfahren voraus. Nach § 30 Abs. 7 S. 6 MStV soll zwar von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und den Spitzenverbänden der Presse für die Überwachung der Presseähnlichkeit von Angeboten des öffentliche-rechtlichen Rundfunks eine Schlichtungsstelle eingerichtet werden. Dies sei auch erfolgt. Ein gesetzlicher Zwang zur Anrufung der Schlichtungsstelle vor Klageerhebung sei jedoch nicht vorgesehen.

Die Kammer hat sich aufgrund des beschränkten Verfügungsantrags lediglich mit der am 14. April 2022 bestehenden Ausgestaltung der App NEWSZONE befasst, nicht mit mittlerweile möglicherweise geänderten Ausgestaltungen der App.

Die 53. Zivilkammer hat der Verfügungsklage in der Sache teilweise stattgegeben. Das Angebot der App NEWSZONE in der angegriffenen Ausgestaltung vom 14. April 2022 verstoße gegen §§ 30, 32 MStV und sei daher wettbewerbswidrig i.S.d. § 3a UWG, weshalb den Verfügungsklägern ein Unterlassungsanspruch gem. § 8 UWG zustehe.

Die Kammer erachtet die App in der angegriffenen Form nicht als unselbständige Ausspielungsform des übergeordneten Telemedienkonzepts DASDING.de. Sie sei damit einem Genehmigungsverfahren gemäß § 32 MStV zu unterziehen. Ein solches habe jedoch nicht stattgefunden. Die App greife zwar auf Inhalte des Onlineauftritts DASDING.de zu. Dies allein führe jedoch nicht dazu, dass die App nur eine unselbstständige Ausspielungsform des bestehenden Telemedienangebots sei. Anderenfalls könnten die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Inhalte einer gesonderten Prüfung dadurch entziehen, dass sie sich allgemein im übergeordneten, vielfältigen Gesamttelemedienangebot einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt befänden. Auch eine Verlinkung innerhalb der App auf das Gesamtangebot vermöge den eigenständigen Charakter der App nicht entscheidend zu verändern.

In der Nachrichten-App liege vielmehr eine grundlegende thematisch-inhaltliche Änderung im Vergleich zu dem genehmigten Telemedienangebot DASDING.de. Dies wird bereits dadurch deutlich, dass die Verfügungsbeklagte eine eigene DASDING-App anbietet. Demgegenüber verändere die App NEWSZONE die Angebotsmischung im Vergleich zum Telemedienangebot DASDING.de substanziell.

Ungeachtet der fehlenden Genehmigung sei die App darüber hinaus in der angegriffenen Form vom 14. April 2022 presseähnlich und damit gemäß § 30 Abs. 7 MStV unzulässig. Die Kammer geht dabei zunächst mit der bisherigen Rechtsprechung zur Vorgängerregelung von der Verfassungsmäßigkeit des § 30 Abs. 7 MStV aus. Diese könne im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht vertieft geprüft werden.

Nach den von der Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätzen dürften Telemedienangebote von öffentlich-rechtlichen Sendern nicht durch stehende Texte und Bilder geprägt sein, sondern müssten ihren Schwerpunkt in einer hörfunk- oder fernsehähnlichen Gestaltung oder einer entsprechenden Kombination haben.

Für die Prüfung der Presseähnlichkeit sei die Gesamtheit der nichtsendungsbezogenen Beiträge der App NEWSZONE maßgeblich. Die Presseähnlichkeit ergebe sich bereits daraus, dass die Verfügungsbeklagte zwischenzeitlich für die eine dreistellige Anzahl von Beiträgen (und damit für den überwiegenden Teil) gegenüber den Verfügungsklägern strafbewehrte Unterlassungserklärungen abgegeben habe. Dies belege den Schwerpunkt des Angebots in quantitativer Hinsicht. Qualitativ seien die nichtsendungsbezogenen Beiträge der App von stehenden Texten und Bildern dominiert. Die Einbindung von interaktiven Gestaltungsmöglichkeiten genüge nicht zur Beseitigung der Presseähnlichkeit. Die Funktion der Vorlesbarkeit sowie die Beteiligung der Nutzer über Emoji- und Abstimmungsbuttons stellten lediglich technische Zusatzfunktionen dar. Das Verbot presseähnlicher Angebote dürfe nicht durch die Einbettung der presseähnlichen Beiträge in eine unterhaltsame Peripherie umgangen werden.

Die Werbeaussagen seien indes nicht wettbewerbswidrig. Eine unzulässige irreführende Werbung liege nicht vor.

Eine solche sei zwar nach § 5 Abs. 1 UWG auch möglich, wenn Werbeaussagen objektiv den Tatsachen entsprechen aber mit Selbstverständlichkeiten geworben werde, die zwingend gesetzlich vorgeschrieben sind oder zum Wesen der angebotenen Ware oder Leistung gehören. Damit könne indirekt der falsche Eindruck erweckt werden, das beworbene Angebot sei anderen Produkten oder Leistungen überlegen.

Eine Werbung mit Selbstverständlichkeiten sei jedoch nach den Grundsätzen der Rechtsprechung nicht irreführend, wenn der Verkehr diesen Umstand erkenne. Dies sei vorliegend deswegen der Fall, da die Verfügungsbeklagte auf die Finanzierung durch den Rundfunkbeitrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in ausreichender Form hinweise. Überdies hätten die Verfügungskläger eine maßgebliche Irreführungsquote nicht dargelegt oder glaubhaft gemacht. Schließlich beruhe die Werbe- und Kostenfreiheit der App NEWSZONE zwar auf gesetzlichen Vorgaben des Medienstaatsvertrags. Dies stelle jedoch – anders als in den Fällen der unzulässigen Werbung mit Selbstverständlichkeiten – einen tatsächlichen Vorteil gegenüber anderen privaten Angeboten dar. Mit diesem dürfe auch geworben werden.

Dr. Sebastian Sonn
Sprecher des Landgerichts Stuttgart in Zivilsachen
Urbanstraße 20   70182 Stuttgart
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