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Jahrespressegespräch des Landgerichts Stuttgart

Datum: 29.07.2019

Kurzbeschreibung: Diesel-Klagewelle am Landgericht Stuttgart. Über 1.100 Klagen gegen Daimler-Konzern im ersten Halbjahr.
Präsident des Landgerichts Dr. Singer: "Wir stehen vor einer riesigen Herausforderung und brauchen dringend Verstärkung."

Heute folgten zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter der regionalen und überregionalen Medien der Einladung zum jährlichen Pressegespräch am Landgericht Stuttgart. Zentrales Thema war die Diesel-Klagewelle gegen mehrere Automobilkonzerne am Hauptstadtgericht.

Nach VW-Klagewelle jetzt Klagewelle gegen Daimler

„Seit dem zweiten Halbjahr 2018 verzeichnen wir einen drastischen Anstieg der Dieselverfahren. Die erstinstanzlichen Verfahren im zweiten Halbjahr 2018 sind im Vergleich zum zweiten Halbjahr 2017 um 23,9 Prozent gestiegen. Insgesamt sind im letzten Jahr bei uns rund 1.900 Diesel-Klagen eingegangen. Hiervon richteten sich über 1.500 Klagen gegen den Volkswagen-Konzern“, erläutert der Präsident des Landgerichts Dr. Andreas Singer. Die Klagen gegen VW seien in diesem Jahr mit über 300 Neueingängen eher rückläufig, so Singer.

Seit Anfang dieses Jahres nehmen dagegen die Klagen gegen den Daimler-Konzern deutlich zu. Allein im ersten Halbjahr 2019 sind über 1.100 Klagen gegen den Stuttgarter Autobauer eingegangen. In der Gesamtstatistik schlägt sich dieser Zuwachs bei den Zivilkammern mit einem Anstieg der erstinstanzlichen Klagen um 28,1 Prozent im Vergleich zum ersten Halbjahr 2018 nieder. „Wir verzeichnen damit das zweite Halbjahr in Folge einen sprunghaften Verfahrenszuwachs wegen der Dieselverfahren“, erläutert der Landgerichtspräsident.

Landgericht Stuttgart bundesweit für alle Klagen gegen Daimler-Konzern zuständig

„Die Welle der VW-Klagen hat in Baden-Württemberg alle Landgerichte gleichermaßen belastet. Demgegenüber ist das Landgericht Stuttgart von den Klagen gegen Daimler so betroffen, wie bundesweit kein anderes Gericht“, sagt der Präsident. Grundsätzlich richtet sich die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes nach dem sogenannten allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten. Dieser ist bei Gesellschaften am Sitz des Unternehmens. „Da die Konzernzentrale in Stuttgart sitzt, ist das Landgericht Stuttgart bundesweit für alle Klagen gegen den Autobauer zuständig“, so Singer.

Daimlerklagen können Landgericht auf Jahre massiv belasten

Beim Landgericht Stuttgart sind in den letzten Jahren über 4.000 Dieselklagen eingegangen. In Medienberichten haben Anwaltskanzleien und Prozessfinanzierer ange-kündigt, dass die Welle derzeit erst zu rollen beginne. Massenklagen mit tausenden weiteren Fahrzeugen seien bereits in Vorbereitung. Diese Ankündigung sieht der Landgerichtspräsident mit Sorge: „Wir stehen vor einer riesigen Herausforderung, deren Ausmaß wir derzeit noch gar nicht abschließend einschätzen können. Aber klar ist, dass wir für eine auf Jahre angelegte strukturelle Mehrbelastung dringend Verstärkung brauchen.“

Derzeit dauern erstinstanzliche Zivilverfahren am Landgericht Stuttgart durchschnittlich rund 7 ½ Monate. Damit werden Zivilverfahren am Landgericht Stuttgart deutlich rascher erledigt als im Bundesdurchschnitt. Dieser liegt bei rund 10 Monaten. Herr Dr. Singer erläutert: „Wir müssen jetzt reagieren, um unsere Spitzenstellung zu verteidigen.“

Sachstand zu den Daimlerverfahren am Landgericht Stuttgart

Von den im letzten Halbjahr eingegangenen über 1.100 Klagen gegen den Daimler-Konzern werden rund 800 Klagen auf eine unzulässige Abschalteinrichtung und über 300 Klagen auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung des zum Pkw-Kauf abgeschlossenen Finanzierungsgeschäfts (Pkw-Darlehensvertrag oder Leasingvertrag) gestützt. „In den Verhandlungen zeigt sich, dass die bereits bestehenden oder drohenden Fahrverbote für Dieselfahrzeuge oftmals der eigentliche Grund für die Klageerhebung sind“, stellt der Präsident fest. Ziel der meisten Kläger sei es, ihr Fahrzeug ohne finanzielle Einbußen wieder zurückgeben zu können.

In den Schadensersatzklagen behaupten die Kläger den Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen in den Fahrzeugen. Je nach Motorentyp gehen sie insbesondere von einer illegalen Prüfstandserkennung, einer unzulässigen Koppelung der Abgas-reinigung an die Außentemperatur („Thermofenster“) oder einer gezielten Reduktion der AdBlue-Einspritzung aus. Der Autokonzern bestreitet die Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen und verweist unter anderem auf Motorschutzgesichtspunkte. Daimler bietet den Klägern bislang keinen Vergleich an. Bei Volkswagen gelingt eine gütliche Einigung in erster Instanz zumindest ab und an.

„Die Verfahren gegen Daimler gestalten sich sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht deutlich komplexer als gegen VW. Dass im VW-Dieselmotor EA 189 eine Prüfstandserkennung eingebaut wurde, ist zwischen den Prozessparteien regelmäßig unstreitig. Hingegen ist in den Daimlerverfahren in der Regel der gesamte Prozessstoff streitig,“ so der Gerichtspräsident. Auch seien zahlreiche Rechtsfragen noch ungeklärt. Eine grundsätzliche Linie habe sich am Gericht daher noch nicht herausgebildet, erläutert Singer weiter. Bislang waren am Landgericht Stuttgart einzelne Klagen erfolg-reich. Andere wurden abgewiesen. In einigen Verfahren werden derzeit zu den be-haupteten Abschalteinrichtungen umfangreiche Sachverständigengutachten eingeholt. In mehreren Verfahren wird eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg in Erwägung gezogen.

In den Darlehens-Widerrufsfällen werden die Klagen am Landgericht Stuttgart überwiegend abgewiesen. Die Bankenkammern gehen von einer Erfüllung der vorgeschriebenen Pflichtangaben aus. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat erste Entscheidungen jetzt auch bestätigt. „Demgegenüber stehen wir bei den Schadensersatzverfahren noch ganz am Anfang“, sagt Dr. Singer.



Das Handout zum Jahrespressegespräch gibt es hier zum Download.



Elena Gihr, Sprecherin des Landgerichts Stuttgart in Zivilsachen

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