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Urteil der 30. Zivilkammer zum Lkw-Kartell

Datum: 28.04.2022

Kurzbeschreibung: Sammelklage auf Zahlung von Kartellschadenersatz in Höhe von rund 96 Millionen Euro abgewiesen

Die 30. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart hat mit Urteil vom heutigen Tag die Sammelklage eines im Rechtsdienstleistungsregister eingetragenen Inkassounternehmens gegen die Mercedes-Benz Group AG (vormals: Daimler AG) u.a. auf Zahlung von Kartellschadenersatz in Höhe von rund 96 Millionen Euro abgewiesen (Az. 30 O 17/18).

Sachverhalt
Die Europäische Kommission hat mit Bescheid vom 19. Juli 2016 (AT.39824 – Trucks) verschiedene Hersteller von Nutzfahrzeugen, u.a. die hiesige Beklagte, wegen kartellrechtswidrigen Handelns zu einem Bußgeld in Milliardenhöhe verurteilt (sog. LKW-Kartell). Im Zusammenhang mit dem LKW-Kartell sind beim Landgericht Stuttgart rund 300 Klagen wegen Kartellschadenersatzansprüchen eingegangen.

Mit der vorliegenden Klage verlangt ein Inkassounternehmen aus abgetretenem Recht von rund 350 Unternehmen die Zahlung von Kartellschadenersatz in Höhe von rund 96 Millionen Euro zzgl. Zinsen und die Feststellung einer Ersatzpflicht der Beklagten für weitergehende Kartellschäden. Die Klägerin wurde im Oktober 2016 von der Europäischer Ladungs-Verbund Internationaler Spediteure Aktiengesellschaft (nachfolgend: E.L.V.I.S.) als 100 %ige Tochter gegründet und ist im Februar 2017 nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) bei der zuständigen Behörde für den Bereich Inkassodienstleistungen registriert worden. Die Unternehmen sind größtenteils Mitglieder des Ladungsverbundes E.L.V.I.S. und überwiegend im Transportdienstleistungsbereich tätig. Die in Frage stehenden Fahrzeuge sind von den Unternehmen in unterschiedlicher Weise (Kauf, Mietkauf, Service-Leasing, Finanzierungs-Leasing u.a.) sowie in unterschiedlichem Umfang (von einem bis zu rund 1.600 Fahrzeugen je Unternehmen) „beschafft“ worden und betreffen die Marken Daimler, DAF, Fiat/Iveco, MAN, Scania und Volvo/Renault.

Entscheidungsgründe
Die Kammer hat die Klage mit Urteil vom heutigen Tage abgewiesen. Die Tätigkeit der Klägerin verstoße gegen § 3 und § 4 RDG. Mithin seien die in Rede stehenden Abtretungen etwaiger Kartellschadenersatzansprüche an die Klägerin wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig, weshalb die Klägerin schon gar nicht Inhaberin etwaiger kartellrechtlicher Schadenersatzansprüche geworden sei. Sie sei daher mangels Aktivlegitimation nicht dazu berechtigt, die vorliegende Klage zu führen. 

Klägerin außerhalb erteilter Inkassobefugnis tätig (Verstoß gegen § 3 RDG)
Die Klägerin sei nach dem RDG bei der zuständigen Behörde für den Bereich Inkassodienstleistungen registriert worden. Diese ihr erteilte Rechtsdienstleistungsbefugnis habe die Klägerin aber überschritten. Sie erbringe im vorliegenden Streitfall keine ihr erlaubte Inkassotätigkeit im Sinne des RDG, sondern eine umfassende Rechtsberatung.

Zwar sei es der Klägerin als registrierter Inkassodienstleisterin grundsätzlich nicht verwehrt, im Rahmen des außergerichtlichen Forderungseinzugs in substantieller Weise – auch begleitend zu einem Gerichtsverfahren – Rechtsberatung vorzunehmen. Diese müsse aber dergestalt im Hintergrund stehen, dass es gerechtfertigt sei, das übertragene Mandat noch als Inkassotätigkeit zu werten. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Vielmehr ergebe sich schon aus der vagen und nicht näher beschränkten Auftragserteilung, dass von der Klägerin eine umfassende Betreuung der rechtlichen Interessen der Unternehmen geschuldet sei. Dazuhin hätten die Unternehmen der Klägerin keine konkreten Forderungen benannt, deren Einziehung die Klägerin gegenüber der Beklagten vornehmen sollte. Vielmehr sei von diesen (lediglich) ein Sachverhalt mitgeteilt worden, den die Klägerin zunächst habe rechtlich bewerten müssen, um konkrete Forderungen gegen die Beklagte richten zu können. Diese hätten sich nach rechtlicher Prüfung schließlich nicht nur in „bloßen“ Zahlungsansprüchen erschöpft. Vielmehr verfolge die Klägerin mit der Klage auch umfassende Feststellungsbegehren.

Außerdem habe sich die Tätigkeit der Klägerin ganz offensichtlich jedenfalls im Kern auf eine gerichtliche Durchsetzung der Ansprüche gerichtet. Dies weiche vom typischen Inkasso ab und könne nur dann als Inkassodienstleistung qualifiziert werden, wenn es sich um zeitlich, wirtschaftlich und rechtlich relativ beschränkte Lebenssachverhalte handle. Vorliegend sei angesichts der Vielzahl der hier streitgegenständlichen Fallgestaltungen bei rund 15.000 Einzelforderungen und der Komplexität der damit verbundenen Rechtsfragen das Gegenteil der Fall.

Schlussendlich könnten kartellrechtliche Schadenersatzansprüche nicht Gegenstand einer erlaubten Inkassodienstleistung sein (dazu die Kammer bereits ausführlich im Urteil vom 
20. Januar 2022 – 30 O 176/19, Holzkartell). Denn kartellschadenersatzrechtliche Fragestellungen würden das für Inkassodienstleistungen typische Maß an rechtlicher Schwierigkeit grundsätzlich überschreiten. 

Interessenkollision der Klägerin gefährdet ordnungsgemäße Vertretung der hinter der Klage stehenden Unternehmen (Verstoß gegen § 4 RDG)
Im Streitfall bestünden bei der Klägerin auch Interessenskonflikte, die die ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung ggü. den Zedenten gefährdeten. Solche Rechtsdienstleistungen seien nach § 4 RDG aber untersagt.

Die vorliegende massenhafte Anspruchsbündelung sei geeignet, die Pflicht der Klägerin zur bestmöglichen Rechtsdurchsetzung gegenüber jedem einzelnen Unternehmen zu beeinträchtigen. Denn die Erfolgsaussichten der Ansprüche der verschiedenen Unternehmen würden sich unterscheiden. Beispielsweise seien einzelne Verträge zur Forderungsübertragung streitig. Streitpunkte, die aber nur einzelne Unternehmen beträfen, zögen den Rechtsstreit dagegen für alle insgesamt in die Länge. 

Interessenskonflikte würden sich zudem aus den konkreten Prozessfinanzierungsabreden ergeben. Die Klägerin habe sich gegenüber den Unternehmen zur bestmöglichen Durchsetzung der abgetretenen Forderungen verpflichtet. Es liege auf der Hand, dass die persönlichen Erfolgsaussichten der Unternehmen von der Erfolgsaussicht der Sammelklage insgesamt und der Gesamtrendite, wie sie ein Prozessfinanzierer im Blick habe, abweichen. Aus der Abhängigkeit der im Grunde vermögenslosen Klägerin von der Prozessfinanzierung bestehe die konkrete Gefahr des Einflusses sachfremder Entscheidungskriterien auf die Art und Weise der Rechtsdurchsetzung jedes einzelnen Anspruchs, was den Interessen der einzelnen Unternehmen zuwiderlaufen könne.

Gleiches gelte angesichts der Treupflicht, die die Klägerin als 100%ige Tochtergesellschaft des Ladungsverbundes E.L.V.I.S. gegenüber dem Initiator des klägerischen Geschäftsmodells treffe. Die Klägerin müsse dessen Weisungen Folge leisten, auch wenn diese den Interessen der Unternehmen zuwiderliefen. 


Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Klägerin kann dagegen innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Oberlandesgericht Stuttgart Berufung einlegen. 


Anhang: Rechtsvorschriften

Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen (Rechtsdienstleistungsgesetz - RDG)

§ 3 Befugnis zur Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen
Die selbständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen ist nur in dem Umfang zulässig, in dem sie durch dieses Gesetz oder durch oder aufgrund anderer Gesetze erlaubt wird.

 § 4 Unvereinbarkeit mit einer anderen Leistungspflicht
Rechtsdienstleistungen, die unmittelbaren Einfluss auf die Erfüllung einer anderen Leistungspflicht haben können, dürfen nicht erbracht werden, wenn hierdurch die ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung gefährdet wird. Eine solche Gefährdung ist nicht schon deshalb anzunehmen, weil aufgrund eines Vertrags mit einem Prozessfinanzierer Berichtspflichten gegenüber dem Prozessfinanzierer bestehen.



Elena Gihr, Sprecherin des Landgerichts Stuttgart in Zivilsachen
Urbanstraße 20, 70182 Stuttgart, Telefon (0711) 212-3411
E-Mail-Adresse: pressestelle@lgstuttgart.justiz.bwl.de

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